Irgendwo im Nirgendwo

Irgendwo im Nirgendwo

Und weiter geht die wilde Hast. Wir verabschieden uns von Exmouth und steuern den südlichen Wendepunkt unserer Western Australia Tour an – Mount Augustus. Dorthin führen ausschließlich einsame „unsealed roads“ (Schotterstraßen). Einsam bedeutet hier, abseits der großen touristischen Reiserouten, auch für australische Verhältnisse einsam. Da tanken wir für die 350km besser noch mal den 140l Dieseltank randvoll. Die Podcastliste ist auch gefüllt, so dass immer für genügend Unterhaltung gesorgt ist. Wir sind mittlerweile große Fans von „Quarks Science Cops“ (Vielen Dank für den Tipp, Eva.) und „Sag mal, du als Physiker …“.

Unterwegs gibt es einen einzigen kleinen Rastplatz (sprich: eine kleine Fläche neben der Straße mit Picknickbank) ohne eine Menschenseele weit und breit. So „remote“ hatten wir es bislang noch nicht. Das hat den Vorteil eines grandiosen Sternenhimmels (keine Lichtverschmutzung!) und (für Jonathan) viel wichtiger – wir brauchen beim Beamerabend keine Rücksicht bezüglich der Lautstärke zu nehmen! Dafür werden die Nächte sofort spürbar kälter als an der Küste. Willkommen (zurück) in der (Halb-)wüste! Dank Skiunterwäsche, Bandana, zusätzlichen Wolldecken und den großen Badehandtüchern braucht aber niemand nachts (bei bis zu 4 Grad) zu frieren.

Das war der ganze Rastplatz.

Am nächsten Tag erreichen wir ohne Komplikationen auf einer malerischen Piste Mount Augustus. Der namensgebende Berg ist schon von Weitem klar erkennbar. Wie der Uluru ist der Klotz ein sogenannter Inselberg, der aus komplett anderem Gestein als die Umgebung besteht.

Obwohl 2,5x größer als sein weltbekannter Verwandter ist dieser Fels selbst in Western Australia nicht allen bekannt.

Wir sind dennoch begeistert und absolvieren selbstverständlich den Aufstieg von ca. 600 Höhenmetern bis zum Gipfel. Hatte ich erwähnt, dass es hier sehr (im Tal) bis extrem (am Gipfel) windig ist?

Kühl, windig, steil und uneben – eine großartige Mischung.

Zum Glück sind wir präpariert. Mit unseren Windjacken kommt jetzt auch noch der letzte bislang ungenutzte Ausrüstungsgegenstand zum Einsatz. (Wie wurde uns im Studium eingebläut: „Planung ist die geistige Vorwegnahme zukünftig gestaltbaren Handelns.“)

Jonathan ist von der Aussicht „blown away“.

Der lokale Campground ist klein aber fein. (Es gibt unerwarteterweise sogar Handyempfang.) Einzig die Hunderte von Papageien machen (vor allem in der Dämmerung) einen riesigen Radau und fungieren als verlässlicher Wecker (ohne Wahlmöglichkeit der Uhrzeit).

Die können ganz schön Krach machen.

Am zweiten Tag kurven wir einmal die 50km um den Berg herum und machen noch eine paar kleinere, deutlich entspanntere Wanderungen und genießen ansonsten Sonne, Kaffee mit Bananenbrot und einen herrlichen Sonnenuntergang mit Bergpanorama. Letzte Chance zur Erholung vor der großen Reifeprüfung.

Im Gegensatz zum Uluru kann man hier direkt vom Campground aus das Farbenspiel beim Sonnenuntergang genießen.

Bei der Planung in Deutschland haben wir mit der folgenden Route am meisten gehadert. 350km Schotterstraße, davon 143km auf der niedrigsten (schlechtesten) Straßenkategorie. Keine Tankstelle oder auch nur irgendeine Ortschaft.

Bei Rinderfarmen mit bis zu 1 Mio. Hektar wundert man sich nicht über die niedrige Bevölkerungsdichte.

Ohne irgendwelche Erfahrungen fiel es uns echt schwer einzuschätzen, ob wir uns damit ggf. übernehmen bzw. unkalkulierbare Risiken eingehen. Unsere Anfrage per Mail bei unserem Zielort (der Cheela Plains Station) bezüglich des zu erwartenden Straßenzustands ergab sinngemäß: „Aus der Richtung ist in den letzten Monaten eigentlich niemand gekommen, die Straßen sollten aber ganz ok sein.“ So das ungefähre Setting. In den letzten Wochen ist mit unseren Erfahrungen auch die Zuversicht gewachsen. Wir sind bereit.

Seid gegrüßt – Erdlinge!

Punkt 7:00 Uhr sind wir (ohne Frühstück) auf der Piste (um genug Zeit mit Tageslicht für die Strecke zu haben) und quälen uns prompt mit der tiefstehenden Sonne. (Warum muss die Route auch ausgerechnet morgens Richtung Osten führen?) Die Erlösung kommt nach 30km und  40min aus unerwarteter und reichlich unwillkommener Richtung. Wir haben hinten links einen Reifendefekt – oder besser – einen Defekt. Vom Reifen ist nicht mehr viel übrig.

Kann man da mit Panzertape noch was retten?

Mist! Ausgerechnet auf dieser Strecke. Das geht ja gut los. Zumal wir keine Ahnung haben, wie das passiert ist. Den Reifendruck hatten wir morgens reduziert. Die Strecke war nicht sonderlich „reifenfeindlich“. Wir sind relativ langsam gefahren. Auf der Lauffläche ist weder innen noch außen eine Perforation erkennbar. Die Flanken sind dafür eine einzige Perforation und lassen keinerlei Rückschlüsse mehr zu. Was solls. Also nochmal Reifen wechseln. Kennen wir ja schon. Die „verlorene“ Zeit lässt sich parallel vielleicht auch noch mit dem ausstehenden Frühstück überbrücken. Das erste (und bis zum Nachmittag letzte) vorbeikommende Fahrzeug, dass uns sogleich Hilfe anbietet, lassen wir zuversichtlich (oder leichtfertig?) passieren. Wagenheber routiniert positionieren, Fahrzeug aufbocken, Ersatzrad lösen und bereitstellen, Radmuttern lösen, Rad entfernen … Stop! Soweit kommt es nicht. Da sind diese 6 fiesen kleinen Metalldinger, die meinen, eine nervige Unannehmlichkeit in ein Drama mittleren Ausmaßes verwandeln zu müssen. Nix mit lösen. Jedes Familienmitglied versucht sein individuelles Kräftepotential mit den phantasievollsten Methoden mittels des „übersichtlich“ langen Radschlüssels auf die Widersacher zu übertragen. Ohne Erfolg. Als Kompromissvorschlag spendieren wir den Biestern sogar etwas WD40. Keine Reaktion. Endlich ein Achtungserfolg. Mutter #1 gibt mit lautem Stöhnen auf. Hilft aber nix, wenn die anderen bockig bleiben. Da kommt man echt ins Grübeln. Wie oft probiert man es noch? Wie bekommt man mehr Kraft auf den Schlüssel, der sich bei den Versuchen schon bedrohlich durchbiegt? Warten? Zurücklaufen (30km)? Erst mal wird stoisch weitergedrückt, -gezogen, -geflucht. Mit vereinten Kräften „überreden“ Jonathan und ich Mutter #2 zur Aufgabe. Bleiben noch 4. Ist das gut oder schlecht? Selbst wenn wir 5 lösen und die letzte sich beharrlich weigert, würden wir nicht weiterkommen. Ein Wechselbad der Gefühle. Viele verzweifelte Versuche später unterbrochen von einzelnen Erfolgserlebnissen sind wir genau in der beschriebenen Situation. Mutter #6 ist keinen Argumenten zugänglich. Aber wir sind nicht soweit gekommen, um jetzt aufzugeben. Nach unzähligen Anläufen siegt schließlich der Wille über die Ignoranz. Wir müssen ja schließlich weiter. („Hussa, weil muss ja und so!“). Alles in Allem hat uns die Aktion 1,5 Stunden gekostet.

Was ist denn hier los?
Ist das überhaupt legal?

Dafür ist jetzt der Knoten geplatzt und wir kommen (bei mittlerweile deutlich günstigerem Sonnenstand) auf der vergleichsweise guten Piste zügig voran. Die einzigartige, raue Landschaft, in der so langsam die Wildblumen anfangen zu blühen, versöhnt uns schnell mit der morgendlichen „tyre situation“.

Jetzt beginnt die kurze Saison der „wild flowers“. Überall blühen lila Büsche.

Von dieser abgesehen ist die Tour wirklich halb so wild und wir freuen uns, dass wir das „Risiko“ eingegangen sind. Zumal uns mit der Cheela Plains Station ein wahres Kleinod an Campground erwartet.

Klein aber fein.
Die Station hatte einen interessanten „Parkplatz“.

Die Touren, die man von dort unternehmen kann, sind nicht groß der Rede wert. Dafür ist das Personal der kleinen, äußerst liebevoll gestalteten Anlage (mit heißen Duschen und Waschmaschinen) extrem nett, hilfsbereit und immer an einem kleinen Plausch interessiert.

Der „Hausleguan“ posierte geduldig für ein Foto.

Wir werden einmal sogar spontan zum Bacon-Egg-Toast Lunch (gebraten über der Feuerschale) eingeladen. Die Feuerschale ist ohnehin das Highlight. Zentral gelegen und mit genug Feuerholz ausgestattet ist es abends DER kommunikative Hotspot. Die übers Feuer schwenkbarbare Grillplatte gibt dem Ganzen zusätzliche kulinarische Optionen, von denen reichlich Gebrauch gemacht wird. Zudem ist es dort abends schön warm! Hatte ich erwähnt, dass es abends kalt wird! Ja wird es. Dafür dauert es morgens, bis es warm wird.

Auch zum Frühstück erfreut sich die Feuerschale großer Beliebtheit.

Die Lebensmittel für diese Woche irgendwo im nirgendwo haben wir etwas zu exakt kalkuliert (und dann das geplante Gemüse aus unbekannten Gründen nicht eingekauft), so dass wir die letzten Tage „kreative Resteverwertung“ betreiben. Aber keine Sorge, hier verhungert keiner (und wir haben noch genügend Kaffee!). Morgen fahren wir dann wieder nach Tom Price. Da gibt es einen Supermarkt, Internet und einen neuen Reifen, bevor wir dann so langsam den Rückweg nach Darwin antreten müssen.

„Nur“ noch 12 Tage in Australien.

Unsere kleine „Volkszählung“ zählt mittlerweile 13 „Follower“. Vielen Dank für das Feedback. Wir freuen uns weiterhin über jeden „Neuzugang“ per Mail unter follower_luecke@vodafone.de .

9 Gedanken zu „Irgendwo im Nirgendwo

  1. Wo soll man nur anfangen?
    Dieses Spiel der roten Farben, das kunstvolle Schattenbild,
    JoJo = AUTOFAHREND mit so stolzem Blick (auch der Leser😊😊)
    und dann die spannend „inszenierte“ Autopanne faszinieren uns.
    Ende Gut, alles gut.! Herzlichste Grüße
    und weiterhin das Glück an eurer Seite
    wünschen OpaVD und OmaMA

  2. Na endlich, JoJo! Gleich die Situation gestalten, mit rückwärtsfahren, einparken etc.
    Muttern lösen kann wirklich ein graus sein, wenn man keinen Rostlöser und Einwirkzeit hat.
    Lasst nicht soviel Druck ab, sonst walken die Reifen zuviel und werden sehr warm. Das geht nicht lange gut. Wenn dann die Reifenwand schon den Boden trifft und ein Stein da liegt, wars das. (Musste ich jetzt los werden als ehemaliger URAL- u. KRAZ-Fahrer)
    Aber ihr habt viel zu erzählen und alles wieder toll beschrieben.
    Viel Spaß weiterhin.

  3. Es schön zu sehen, wie ihr euren Urlaub genießen könnt.
    Ich wünsche euch noch ein paar schöne Tage.
    Solch ein Erlebnis bekommt man nicht oft.

  4. Hab wieder gerne euren spannenden Bericht gelesen.Mich fasziniert immer wieder die weite Natur,das wirkt schon beim Anschauen sehr beruhigend!Ich wünsch euch gute Weiterreise !L.G.SIGRID

  5. Autofahren lernen auf unbefahrener Straße muss Spaß machen. Beim Radmutter Drama habe ich mit geschwitzt schon beim lesen. Soviel Aufregung ist nix mehr für mich. Weiterhin alles Gute.

  6. OHA, ich freue mich über die neuen Fahrdienstleiter: Jugend hinters Lenkrad heißt die heutige Devise!!! Und: „Planung ist die geistige Vorwegnahme zukünftig gestaltbaren Handelns“ hat jetzt zu wieviel Prozent funktioniert?!? Ich denke, so 98% werden es schon sein :):):) Aber trotz/wegen schweißtreibender Radwechselaktionen scheint ihr Australien wirklich hautnah spüren (der Reifen sieht wirklich echt Sch…e aus = die letzten 2%:)). Das finde ich echt irre.
    So, nun Tschüß, ihr verwegenes Rumtreiberpack! Schotterpiste Ahoi und immer ’ne Handbreit Diesel im Tank wünschen euch herzlichst Gerd und Thea

  7. Moin, ihr könnt ja von Glück reden, dass eure Route nicht entlang der Ostküste führt. Da hättet ihr euren Mietwagen wohl gegen ein Hausboot eintauschen müssen. Dann wünschen wir, dass das Wetter auf eurer Tour noch ein paar Tage durchhält.

  8. So schöne Bilder und Berichte. Und die Farben. Einfach traumhaft schön. Und dann noch die super Berichte. Das ist einfach spannend und sooo gern von uns gelesen. Einfach TOLL☺️

  9. Schon verrückt, dass ihr jetzt fast zwei Monate unterwegs seid. Ich freu mich immer auf eure Berichte. Einer ist spannender als der andere! Klasse Bilder!

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